Willy Hermann Tietz
geboren 30.07.1885 Driesen/Neumark
ermordet 23.04.1944 Breitenau
Beruf Kaufmann
Wohnort bei Verhaftung Marburg
Haftzeitraum März/April 1944
Biografie
Willy Hermann Tietz wird 1885 in Driesen als drittes Kind des Holzgroßhändlers Julius Tietz und seiner Ehefrau Hedwig Tietz, geb. Koeben, geboren. Seine Eltern waren Juden, jedoch bereits 1885 zum evangelischen Glauben konvertiert. Ihre sechs Kinder werden ebenfalls getauft und christlich erzogen.
Nach seinem Jurastudium übernimmt Willy Tietz als ältester Sohn der Familie den Holzgroßhandel seines bereits 1906 verstorbenen Vaters in Driesen, um für die Ausbildung und Aussteuer seiner z.T. noch minderjährigen Geschwister aufkommen zu können. 1913 verlobt er sich mit der 24-jährigen Amanda Margaretha Catharina Cornils, die er bei gemeinsamen Freunden in Marburg kennengelernt hat. Die Eheschließung der beiden verzögert sich durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Willy Tietz wird zum Kriegsdienst einberufen und auf dem ehemaligen Balkangebiet eingesetzt. Nach dem Ersten Weltkrieg wird Driesen infolge der territorialen Neuordnung durch den Versailler Vertrag polnisch (heute Drezdenko), weshalb Willy Tietz den Familienbetrieb Ende 1918 aufgibt und seiner Verlobten nach Hamburg folgt. Er gründet ein Holzkommissionsgeschäft unter der Firma „Willy Tietz - Holz-Commission“ und heiratet Amanda Cornils im April 1920. Ein Jahr später, am 11. März 1921, kommt der gemeinsame Sohn Horst Willy Julius Amandus zur Welt. Es folgen sehr glückliche Jahre der kleinen Familie mit enger Bindung an die übrigen Familienmitglieder, in denen Willy Tietz sein Geschäft erfolgreich ausbauen kann.
Obwohl Willy und Amanda Tietz nach dem damaligen Sprachgebrauch in einer „privilegierten Mischehe“ leben – Willy Tietz gilt nach der nationalsozialistischen Rassenideologie trotz seines christlichen Glaubens als Jude, muss aber aufgrund der „arischen Abstammung“ seiner Ehefrau keinen Judenstern tragen – ist er seit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 massiven Anfeindungen im Alltag ausgesetzt. Seine Geschäftskontakte und Einnahmen gehen zurück und der Stolz des ehemals starken und lebenstüchtigen, hochgebildeten und humorvollen Mannes wird durch anti-jüdische Hassparolen, Bedrohungen und Repressionen systematisch gebrochen. Um seinem Vater, dessen Name 1938 zwangsweise in Willy Hermann „Israel“ Tietz geändert wird, weitere Demütigungen zu ersparen, übernimmt sein Sohn Behördengänge für ihn und lässt sich nach Erreichen der Volljährigkeit im Jahre 1942 als Inhaber der Firma, nunmehr „Willy Israel Tietz - Holz Commission“, eintragen. Im Hintergrund führt aber Willy Tietz die Geschäfte weiter.
Bei den Luftangriffen auf Hamburg im Februar 1943 verliert Familie Tietz ihre Wohnung und sämtlichen Besitz. Sie gehen nach Marburg, werden dort aber von ihrer Vermieterin denunziert und von der örtlichen Gestapo für den 24. Dezember 1943 vorgeladen. Während des stundenlangen Verhörs wird auf Amanda Tietz Druck ausgeübt, sich von „dem Juden“ zu trennen, indem man ihr die Freiheit verspricht. Sie quittiert dieses Ansinnen damit, dass sie vor den Beamten ausspuckt. Sie werden in Einzelzellen des Marburger Landgerichtsgefängnisses untergebracht, wo Willy Tietz vergeblich versucht, sich das Leben zu nehmen, um auf diese Weise seine Frau und seinen Sohn zu schützen.
Am 6. März 1944 wird er zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn als Gestapo-Gefangener in das sogenannte „Arbeitserziehungslager“ Breitenau überstellt und dort in der Landarbeit eingesetzt. Unter den Misshandlungen und unmenschlichen Haftbedingungen in Breitenau erkrankt Willy Tietz schwer und stirbt am Morgen des 23. April 1944 in den Armen seines Sohnes unmittelbar vor dessen Deportation in das Konzentrationslager Buchenwald.
Willy Tietz wird im Juni 1944 auf dem Anstaltsfriedhof von Breitenau bestattet. Sein Grab ist heute das einzige noch sichtbare Grab eines Opfers der NS-Verbrechen in Breitenau.
Amanda Tietz wird in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert und dort am 5. Juni 1944 ermordet. Horst Tietz erlebt die Befreiung des KZ Buchenwald durch die US-Amerikanische Armee am 11. April 1945.
Diese Biografie wurde von den Enkelinnen und dem Urenkel von Willy Hermann Tietz verfasst.
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Quellen:
Thevs, Hildegard, Stolpersteine in Hamburg, www.stolpersteine-hamburg.de
Tietz, Horst, Aus dem Leben durch die Hölle zum Polarstern, 1921-1950, unveröffentlichtes Manuskript, notiert 2006/2007